Lasst uns die rosarote Brille abnehmen: Geburt und Wochenbett

Die Geburt meines Kindes und die Zeit danach waren nicht die schönste Zeit meines Lebens.

Lange habe ich mich dafür verurteilt und mich gefühlt, als würde ich dem gesellschaftlichen Idealbild einer Mutter nicht genügen. Anstelle mit überwältigender Freude und Dankbarkeit kämpfte ich mit Depression, Trauer und Wut – und mit jeder Menge körperlicher Hindernisse durch eine traumatische Geburtserfahrung. Ein Gedanke ließ mich vor allem nicht los: Meine Vision von Geburt, Wochenbett und Mutterschaft wurde mir genommen.

Eigentlich ging ich sehr offen und ohne große Erwartungen in die Geburt meines Kindes. Ich hatte mich in der Schwangerschaft nicht unheimlich viel mit dem Ereignis beschäftigt, aber ich wusste, dass man am besten keinen genauen Plan im Kopf haben sollte. Denn – wahrscheinlich würde es eh anders kommen. Ich wollte unbedarft in die Situation gehen, denn die Hiobsbotschaften zum Thema Hochblutdruck in der Schwangerschaft hatten mir gereicht. Zudem hatte ich jede Menge emotionalen Stress, weil mein Vater am Tag meines positiven Schwangerschaftstests zu einem Pflegefall wurde. Damit fiel in der emotionalsten Zeit meines Lebens eine meiner größten Stützen weg – und ich war nicht nur mehr für mich und meine Gesundheit verantwortlich, sondern auch für die eines ungeborenen Babys und eines kranken Menschen.

Einfach eine normale Geburt, okay?

Ich hatte durch die Krankheit meines Vaters und seinen langen Leidensweg Monate im Universitätsklinikum verbracht. Und ich merkte, wie schon die Parkplatzsuche auf dem Krankenhausgelände meinen Blutdruck anhob. Ich hatte schon allein von dem Gebäude eine Art PTSD. Deswegen wollte ich einfach eine “normale” Geburt in einem normalen, kleinen Krankenhaus. Aber immer mit der Sicherheit in einigen Minuten in einer Kinderklinik zu sein. Denn das hat man als Eltern auf dem Schirm: Mit dem Kind könnte etwas passieren. Aber das auch die Geburt eines der risikoreichsten Momente im Leben einer Frau ist, daran denken wir oft nicht. Ich auch nicht. Bis es eben Komplikationen gab.

Triggerwarning: traumatische Geburt

Eigentlich fing alles ganz normal mit einer geplatzten Fruchtblase an. Die Wehen setzten allerdings erst 12 Stunden später ein. Es ging ewig lang nicht voran. Ich war nur bei 7cm, obwohl die Wehen stark waren und keiner so richtig wusste, wieso es nicht weiterging. Ich bekam auf Wunsch ein PDA um die Wahrscheinlichkeit einer natürlichen Geburt zu erhöhen – denn langsam mangelte es mir an Kraft. Am nächsten Morgen wurde ich bei Hebammenwechsel mit der Hiobsbotschaft geweckt, dass sich die Herztöne meines Kindes verschlechtert haben und wir in 12 Minuten einen Kaiserschnitt machen werden. Mein Mann war nur kurz unter die Dusche gesprungen um danach wieder wacher für mich da zu sein und als er zurückkam, wurde ich schon in den OP geschoben. Mein eigener Gynäkologe war Belegarzt im Krankenhaus und es gab mir ein gutes Gefühl, dass so ein erfahrener Arzt meinen Kaiserschnitt durchführte. Ich war auch nicht böse um den Schnitt. Ich war müde, das ganze schien endlos und ich hatte ja bewusst keine Erwartung an die Geburt gehabt. Ich hatte viele Freundinnen, bei denen der Kaiserschnitt vollkommen in Ordnung durchgeführt wurde. Und ich war ja in guten Händen. Leider war mein Anästhesist nicht besonders gesprächig und auch meinen Mann hatte es die Sprache etwas verschlagen – und so lag ich mit einem starken Übelkeitsgefühl schweigend auf der Pritsche. Aber eigentlich war ich sehr ruhig. Alles würde gut werden. Mein Kind schrie und alles war auch erstmal in Ordnung. Denn: alle Zeiger sind erstmal auf dem Kind (gut so!). Ich wurde zugenäht, mein Mann ging mit Kind raus (“Jetzt bloß nicht auf ihre Frau blicken!”). Beim Rausfahren in den Ruheraum bemerkte ich bereits ein gewisses Unwohlsein. Als mir mein Kind auf die Brust gelegt wurde, stieg das Unwohlsein an. Die Hebamme kam in diesem Moment ins Zimmer, sah mir ins Gesicht und fragte: “Dir geht es nicht gut, oder?” Ich schüttelte den Kopf und sagte bevor ich fast das Bewusstsein verlor, dass mir jemand das Kind abnehmen muss. Plötzlich fing alles um mich herum an zu piepen und in einem Satz waren 10 Ärzt:innen in meinem Zimmer – nur leider nicht der operierende Arzt, denn der war schon im nächsten OP… Der Verdacht war auf Präeklampsie (Bei einer Präeklampsie steigt der Blutdruck an und es kommt zu einer vermehrten Eiweißausscheidung im Urin (Proteinurie). Bei einer Präeklampsie können plötzlich Krampfanfälle (Eklampsie) auftreten. Ohne rasche Behandlung verlaufen Eklampsien in der Regel tödlich). Allerdings waren sich die Ärzte:innen im kleinen Krankenhaus nicht so sicher und ohne die Meinung des Chefs entschieden sie sich dazu mich ins Uniklinikum zu verlegen – natürlich die beste Entscheidung medizinisch. Aber die Trennung von meinem Kind war mental natürlich eine Katastrophe. In der Uniklinik brauchten sie einen Tag um herauszufinden, was mit mir los war und dass ich innere Blutungen hatte. Mein Uterus war eingerissen nachdem man die Kaiserschnittnarbe geschlossen hatte (das passiert so 1 Mal in 1000 Kaiserschnitten). Mein ganzer Körper krampfte und ich schrie wie am Spieß, wenn mich jemand versuchte anzufassen oder gar meine Liegeposition zu verändern. Schlussendlich wurde festgestellt, was los war und in einer 3-stündigen OP wurde versucht mein Uterus und mein Leben zu retten. Ich war wirklich in sehr guten Händen und alles verlief sehr gut. Ich bekam 2 Bluttransfusionen und die Krankenschwestern waren in dieser halb-intensiv Frauenklinik wirklich extrem gut. Aber niemand konnte mir mein Kind und diese ersten intensiven Stunden nach Geburt zurückholen.

Meine Arbeit mit anderen Müttern zeigt mir: Wir sind nicht alleine mit unseren Erfahrungen, mit unseren Sorgen und auch mit unserer Suche nach unserer eigenen Identität - als Mensch, Frau und manchmal sogar Arbeitnehmerin.

Das Wochenbett

Zuerst war ich zu sehr mit mir und meinem Schmerz beschäftigt, um wirklich zu realisieren, wie traumatisch diese Situation war und wie sehr mir mein Kind fehlte. Durch die Ausnahmesituation durfte mein Mann das ein Tag alte Baby aus dem Geburtskrankenhaus tagsüber auschecken und zu mir bringen. Auch für ihn war das ganze eine Extremsituation. Auch Papas denken nicht daran, dass sie plötzlich mit dem Kind allein sein könnten direkt nach der Geburt. Die Schwester in der Frauenklinik weckten mich sogar nachts um zu pumpen und die Milchproduktion anzuregen und obwohl es nicht direkt klappte, klappte es bereits an Tag 3. Was für unsere Situation schon sehr gut war. Ich war in meinem Leben noch nie so emotional, wie an dem Tag, an dem der Milcheinschuss kam. Alles prasselte plötzlich auf mich ein und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Mein Kind fehlte mir wie ein Stück meines Körpers und ich hatte Phantomschmerzen des Todes. Alles in mir sträubte sich: So sollte das nicht sein. Die Natur hat das alles anders vorhergesehen. Mein Baby sollte bei mir sein. Nachts, als mein Mann und mein Kind nicht mehr da waren, starrte ich stundenlang auf mein Handy und auf das allererste Foto meines Kindes. Ich checkte mich so schnell wie möglich auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus aus – auch wenn ich wusste, dass ich noch nicht okay war. Meine Leberwerte waren schlecht und ich konnte kaum geradeaus gehen. Aber die Sehnsucht war zu groß, ich wollte keine Sekunde mehr von meinem Kind getrennt sein.

Nichtsdestotrotz hatte ich zwei große Bauch-OPs hinter mir und mein Körper war stark mitgenommen. Am Wickeltisch hörte ich mein Blut rauschen und ich konnte nicht mal so lange stehen, um eine Windel zu wechseln. Ich stand einfach nur daneben und musste zusehen, wie mein Mann nicht nur alles machte, sondern auch alles besser konnte. Er hatte einen tagelangen Vorsprung und ich fühlte mich wie die letzte Mutter auf der Welt. Warum konnte ich das alles nicht schon? Wieso machte mein Körper nicht endlich mit!? Das Wochenbett war voller Schmerzen, Entbehrungen und schlechter Gefühle für mich. Es war nicht die rosarote Kennenlernzeit, von der alle sprachen. Es war für mich der reine Überlebenskampf. Nicht nur wegen meinen körperlichen Baustellen oder der traumatischen Erfahrung – ich war einfach noch nicht angekommen in meiner Rolle. Alles war so neu, ich war schreckliche Anfängerin und obwohl mich mein Mann und meine Mutter sehr schonten, bekam ich aus Sorge viel zu wenig Schlaf. Ich schlief nicht mal gut, wenn ich eigentlich schlafen konnte. Ich wollte alles wieder gutmachen in schnellster Zeit und dafür musste ich auf Knopfdruck fit sein.

Negative Gefühl und Depression

Es ist fast unmöglich bei dem ganzen Hormonchaos wirklich festzustellen, ab wann die negativen Gefühle Überhand nehmen. Ich weiß, dass ich bemerkte, dass ich nicht so glückserfüllt war, wie ich es eigentlich gerne gewesen wäre – aber ich funktionierte. Ich funktionierte als Milchspenderin, als Ehefrau, als Pflegerin meines Vaters – und daher machte ich mir keine Gedanken über eine Wochenbettsdepression. Denn in den Medien wird es oft so dargestellt, dass Frauen dann eben nicht mehr funktionieren. Niemand spricht von den Frauen, die sehr wohl noch den Alltag bewältigen aber trotzdem in einem hormonellen Tief stecken bleiben. Was mich schlussendlich dazu brachte mich auf eine postnatale Depression untersuchen zu lassen, waren meine ständigen irrationalen Ängste – die so überhaupt nicht in meine Persönlichkeitsstruktur passen. Ich bin eine Weltenbummlerin, die alleine schon auf mehreren Kontinenten gelebt hat und für mich war die Art von Angst und Besorgnis absolut neu. Und ich merkte: Das will ich meinem Kind nicht mitgeben. Ich bin nicht ich. Ich brauche Hilfe.

Dysphorischer Milcheinschuss

Die Art Gefühl, die am schlimmsten für mich war und mich einfach nicht mehr losließ war der Wasserfall an negativen Emotionen während des Stillens. Ich wollte glücklich sein, dass der Milcheinschuss und auch die Umgewöhnung von Fläschchen so gut geklappt hatte. Aber jedes Mal, wenn man Kind den ersten Zug nahm, durchflutete mich eine dermaßen große Armada negativer Gefühle, das mir körperlich schlecht wurde. Ich konnte nicht essen. Ich wollte in dem Moment eigentlich gar nicht mehr. Manchmal hielt es nur einige Sekunden an, manchmal für die gesamte Mahlzeit. An Clusterfeeding-Tagen hatte ich manchmal mehrere Stunden am Stück diesen Gemütszustand. Es war fürchterlich. Das größte Problem: Wie willst du dich aus diesem Zustand herausheben, wenn du immer und immer wieder gezwungen bist zu stillen? Irgendwann nahm mein Sohn auch das Fläschchen gar nicht mehr und mein Job war 24/7 Stillen. Erst neun Monate später erfuhr ich aufgrund eines Videos einer amerikanischen Comedienne, dass dieses Gefühlsphänomen einen Namen hat. Wie bei so vielen weiblichen medizinischen Phänomenen, gibt es wenig Studien und der erste Fall des sog. “Dysphorischen Milchspendereflex (D–MER)” wurde erst 2007 verschriftlicht. Es wird vermutet, dass ein kurzzeitiger Abfall des Hormons Dopamin eine Rolle spielt. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der die Stimmung positiv beeinflusst, und sein Abfall könnte zu den negativen Gefühlen führen – also es ist keine psychologische Erkrankung sondern eine physiologische. Erst nachdem eine Hebamme dieses Gefühl bei ihrem dritten Kind bemerkte und aus Erfahrung genau wusste: “Das ist nicht normal” – wurde dieses Phänomen erforscht. Aber wie sollen wir Erstmamas wissen, dass dieses Gefühl nicht normal ist? Woher sollen wir wissen, dass es nicht unsere Schuld ist?

Hier berichte ich über meinen individuellen Weg zu Mutterschaft und meiner Identität zwischen Familie und Arbeit.

Scham und Schuld als Waffen uns als Mütter kleinzuhalten

So viel Rund um Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Wochenbett und Elternsein ist tabuisiert. Selbst die Periode, die es seit Anfang der Menschheit gibt, wird erst jetzt so wirklich erforscht und gesellschaftlich salonfähig gemacht. Alles was mit Schwangerschaft und Kind zu tun hat, wird romantisiert. Und wehe, eine Mutter fällt aus dem Raster – dann wird sofort das Rabenmutter-Argument aus der Tasche geholt. Oder das Totschlag-Argument: Sei doch dankbar! Menschen, Frauen, Mütter sind komplexe Wesen – wir dürfen eine Vielzahl an Emotionen haben. Ich kann mein Kind lieben, es fürsorglich umsorgen und trotzdem negative Gefühle beim Stillen haben, die kaum auszuhalten sind. Aber Frauen werden wie immer mit der Androhung von “Du hast es dir doch so ausgesucht” (= Es ist deine Schuld) und “Du sollst doch dankbar sein” (=Schäm dich!) kleingehalten. Wir eifern weiter der Version von perfekter, leichter und komplikationsfreier Mutterschaft hinterher, die von der Gesellschaft romantisiert wird.

Hilfe und Muttertät

Meine Therapie hat mir geholfen zu erkennen: Es ist eben nicht meine Schuld. Und ich habe auch keinen Grund mich zu schämen. Mir ist etwas schreckliches zugestoßen und trotzdem liebe ich mein Kind und tue was ich kann, um allen gerecht zu werden. Nur darf ich dabei nicht mich selbst, meine Bedürfnisse und meine Identität vergessen. Es hat für mich einige Zeit gedauert, nach all dem meine Identität als Mutter zu entwickeln und zu festigen. Nach dem ganzen Überlebenskampf und der vielen negativen Emotionen kam ich nie zu der Frage: “Welche Art Mutter will ich eigentlich sein?” Heute habe ich mein Mutterdasein in meine eigene Identität als weltoffene Unternehmerin integriert. Und ich weiß, dass ich eine gute Mutter bin. Denn wir Mütter sind so extrem resilient. So extrem stark. Meine Arbeit mit anderen Müttern und deren Geschichten stärken mich weiterhin in dem Gefühl, dass wir nicht alleine sind mit unseren Erfahrungen.

Aber wir müssen damit anfangen mit unseren individuellen Erfahrungen offener umzugehen. Ohne Urteil und ohne Scham und Schuld. Wir müssen einander unterstützen, dass Mutterschaft individuell, bunt und vielschichtig sein darf. Und jede ihren eigenen Weg gehen darf.

Erleben wir als Mütter eine zweite Pubertät? Lies es in meinem nächsten Blogartikel.

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